Mara und der Feuerbringer Wiki
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Kapitel 1


„...und darum finde ich es natürlich besonders zauberhaft, dass Sie, Herr Professor, sich für solcherlei Themen erwärmen können! Haben Sie auch schon mal eine Aura gesehen? Ein erhebender Anblick!“
Mara blickte quer über den Tisch hinweg zu Professor Reinhold Weissinger, dessen Hand mit dem Löffel auf halbem Weg zurück zum Teller eingefroren war. Im Moment war sein gesamter Denkapparat wohl fieberhaft damit beschäftigt, sich eine Antwort zu überlegen. Da musste der Körper eben alle anderen Aktivitäten einstellen und sämtliche Energie im Kopf sammeln. Eigentlich war es ja alles Maras Schuld: Sie hatte dieses Desaster schließlich arrangiert. Es wäre wohl früher oder später sowieso passiert, da sich Mama in den Kopf gesetzt hatte, den Professor mal zum Abendessen einzuladen. In einem Anfall geistigen Kontrollverlustes hatte Mara das dann plötzlich auch für eine gute Idee gehalten und Professor Weissinger dazu genötigt, hier aufzutauchen. Wobei ihr sein „Ja“ dann doch etwas zu schnell gekommen war, aber nun gut ...


Jetzt saß sie also hier und musste mitansehen, wie sich Mama vor Professor Weissinger zum Obst machte. Wobei der Professor auch gerade ziemlich obstig rüberkam, und immer noch nach einer Antwort suchte.
„Eine Aura ... nein, das ... nicht, dass ich mich erinnern könnte ...“, hüstelte sich der Professor schließlich zusammen und steckte direkt danach den Löffel in den Mund, um ein besonders armseliges Ablenkungsmanöver einzuleiten. „Mmh, aber ihre Maronensuppe ist wirklich exquisit, Frau Lorbeer!“
Mara hätte ihm gern ein Signal gegeben, dass er entscheidend an Glaubwürdigkeit gewinnen würde, wenn er vorher den Löffel in den Teller getaucht hätte.
Aber das fiel Mama weder auf noch b
rachte es sie vom Thema ab: „Schön wenn es ihnen schmeckt. Um ehrlich zu sein, als ich zum ersten Mal eine Aura um einen Menschen herum wahrgenommen habe, war ich noch Wochen später völlig verstört.“
„Tatsächlich? Wie äh ... schön für Sie?“
, sagte der Professor und es klang tatsächlich wie eine Frage.

„Ja, allerdings!“, schwärmte Mama weiter. „Sie wissen ja gar nicht, was Sie da verpasst haben.“
„Es scheint fast so, ja“
, nickte Professor Weissinger und steckte erneut einen leeren Löffel in den Mund. Diesmal aber bemerkte er den Fehler und riss ihn so ruckartig von den Lippen, dass Mara glaubte, ein leises „Webbl“ zu hören.

Sie hatte den Professor ja schon in einigen brenzligen Situationen erlebt, aber selbst Auge in Auge mit dem Lindwurm Fafnir war er ihr nicht so nervös vorgekommen. Gerade schmetterte Professor Weissinger den Löffel etwas zu schnell in den Teller und versetzte die Maronensuppe in Aufruhr.

„Hoppla, na ja, dieses Hemd sollte eh mal wieder in die Wäsche, scherzte er lahm.
Aus diesem Bart hab ich aber echt schon witzigere Sprüche gehört, dachte Mara.

Dafür war Mama wild entschlossen, diesen Spruch sogar höchst amüsant zu finden und schraubte sich dazu in ein Geräusch, das dringend den Untertitel „Hahaha“ benötigt hätte, weil man es kaum als Lachen erkannte.

Die meisten Mädchen und Jungs in Maras Alter konnten es gar nicht erwarten, endlich erwachsen zu sein. Aber wenn Mara sich dieses seltsame Schauspiel so ansah, konnte es ihr persönlich gar nicht lange genug dauern. Vermutlich änderte sich im Alter von achtzehn Jahren irgendetwas schlagartig im Hirn und betätigte dann den Komisch-Knopf. Dieser Volljährigkeitseffekt sorgte bestimmt auch dafür, dass jeder zweite Satz mit „Ich meins doch nur gut ...“ begann. Mara war froh, dass sie sich ab und zu in ihre Gedanken versenken konnte. Das machte es irgendwie erträglicher. Man konnte durchatmen und dann wieder der Welt direkt in die Augen sehen. Nur manchmal schien die Welt zu schielen. Wie zum Beispiel jetzt. Gerade erklärte Mama nämlich dem Professor, dass sie als Ergebnis des Aurakurses im Wicca-Café doch tatsächlich eine Art Lichtwolke um die Kursleiterin wahrgenommen habe.
„Normalerweise nimmt man ja eher den Ätherischen Körper wahr, ich sah aber deutlich diese hellen Lichtstreifen auf bläulichem Untergrund, was ja bekanntermaßen auf den Negativen Ätherischen Körper schließen lässt. Die Kursleiterin meinte, das sei der helle Wahnsinn, hahaha.“

„Nun, ich hoffe, Sie verstehen mich nicht falsch, wenn ich dem einhellig zustimme, haha, antwortete der Professor und handelte sich dafür einen scharfen Blick von Mara ein. Mama mit Ironie zu kommen war nicht fair, denn dafür fehlte ihr der Decoder.

Professor Weissinger beeilte sich auch sofort, wieder zurückzurudern und Mara spürte, dass es ihm schon wieder leidtat. „Allerdings bin ich durchaus schon mit Auren konfrontiert worden, Frau Lorbeer, aber nicht in dem Sinne, wie sie das beschreiben. Zum einen ist mir natürlich die griechische Göttin gleichen Namens bekannt: Aura aus dem Geschlecht der Titanen, Patronin der Morgenbrise.“

„Ach was, wie interessant“, antwortete Mama und schien tatsächlich interessiert zu sein, was Mara aufatmend zur Kenntnis nahm.
„Ja, allerdings“, fuhr der Professor fort. „Laut griechischer Mythologie verfällt sie später ... dem Wahnsinn und äh ... najaistjetztvielleichtnichtsowichtig ... ist denn noch Suppe da?“

„Aber natürlich. Mara, bist du so nett und bringst dem Professor noch einen Teller?“
Mara nickte und nahm Professor Weissingers Teller mit in die Küche. Im Flur hörte sie ihn noch „Und zum anderen ...“ sagen, dann schloss sie die Küchentür und lehnte sich erschöpft mit dem Rücken an den Kühlschrank und starrte an die Decke.

Puh. Bei Gelegenheit würde sie den Professor fragen, was die griechische Göttin denn so schlimmes angestellt hatte, dass er es am Tisch nicht erzählen wollte. Aber sie wusste ja inzwischen aus eigener Erfahrung, dass alte Götter generell nicht gerade zimperlich waren. Der germanische Halbgott Loki, dessen Flucht aus seinem Gefängnis sie ja eigentlich verhindern sollte, wurde zum Beispiel nicht mit einem Seil auf die Felsen gebunden, sondern mit den Gedärmen seines eigenen Sohnes Narfi. Brr, Mara schüttelte sich jedes Mal, wenn sie nur daran dachte. Und leider dachte sie viel zu oft daran. So in etwa dauernd.
Mara seufzte so laut, dass die Teller im Hängeschrank klapperten und schöpfte dann Maronensuppe aus dem Topf in den Teller. Hier stand sie nun, suppeschöpfend, während man eigentlich von ihr erwartete, dass sie einen Halbgott an der Flucht hinderte, damit der nicht den Anfang vom Ende der Welt auslöste. Aber das Problem war doch, dass sie gar nicht das Gefühl hatte, bei Loki bestünde Fluchtgefahr. Und außerdem fand sie den Kerl eigentlich auch ganz
... nett?
Ja klar, er konnte schreien, dass die Erde bebte und hatte wohl damals zur Zeit der nordisch-germanischen Götter eine Menge Mist gebaut: Monster geschaffen, Streit angezettelt, gelogen, betrogen, Odins Lieblingssohn in die Hölle geschickt und so
... Nein, ganz sicher war Loki kein harmloser Kumpel von nebenan.
Aber als sie ihn in seinem Höhlengefängnis aufgesucht hatte, wirkte er eher wie der lebende Beweis für die heilsame Wirkung von über tausend Jahren Gefangenschaft: Er hatte glaubhaft versichert, dass ihm nicht an Rache gelegen war und Mara sogar einen Teil seiner Götterkraft verliehen.
Und überhaupt: Nach wie vor hatte sich ihr geheimnisvoller Auftraggeber nicht persönlich gemeldet und vielleicht lag der ja sogar völlig falsch mit seinem Verdacht gegen Loki?
Denn da gab es ja noch den Feuerbringer namens Loge, diese seltsame Mischung aus Loki, einem Feuerriesen namens Logi und einer Figur aus Richard Wagners Ring-Opern.
Vor
dem hätte man sie mal warnen sollen, denn der hatte schließlich deutlich mehr Probleme gemacht als der arme Loki in seiner Höhle. Also echt!
Mara hörte auf zu schöpfen, als ihr die Suppe über den Daumen lief. Sie schimpfte leise, und wischte den Tellerrand noch schnell mit einem schräg abgerissenen Fetzen Küchenrolle ab. Manchmal hatte sie fast den Eindruck, diese Perforation war dafür da, um zu zeigen, wo die Küchenrolle garantiert
nicht reißen würde. Als sie wieder ins Wohnzimmer kam, schlug ihr ein eisiger Wind entgegen. „Alles okay?“, fragte sie leise und las die Antwort bereits an den zusammengepressten Lippen ihrer Mutter ab.
„Der Herr Professor meint, ich leide an einer Nervenkrankheit, flötete es aus Mamas gespitztem Mund.

Mara verdrehte die Augen. Typisch Erwachsene da dreht man ihnen nur kurz den Rücken zu, und schon ...
Professor Weissinger war redlich bemüht, sich zu erklären: „Du liebes bisschen, aber nein! Ich wollte wirklich nur rein informationshalber darauf hinweisen, dass ich das Verspüren von Auren eigentlich nur im Zusammenhang mit Epilepsiekranken gehört habe! ‚Aura‘ nennt man das Gefühl, wenn wieder ein Anfall droht. Womit ich selbstverständlich weder Sie noch die bedauernswerten Epilepsiepatienten beleidigen wollte, Frau Lorbeer.“

„Also, wie darf ich denn das nun wieder verstehen?“
„Nun ja, nicht falsch, wär‘ mir recht“
, antwortete der Professor und lächelte dazu entwaffnend unter seinem Professorenbart hervor.
Das half. Mama lächelte zurück und Mara atmete synchron mit Professor Weissinger auf.
Puh, diese Klippe wäre also umschifft. Na dann, volle Kraft voraus zum nächsten Eisberg
..., dachte sie und sprach stattdessen: „Hier ist ihre Suppe, Herr Professor. Ich würd‘ ja gern schon den Hauptgang vorbereiten, aber ich glaube, das mit dem Anbraten hab ich nicht so drauf ...“
„Ach Gott, nein
nein, das mache ich schon selbst, sagte Mama: „Wenn ich Sie kurz mit Mara alleine lassen darf, Herr Weissinger?“
„Aber gern ... ich meine, kein Problem. Sie kommen doch irgendwann zurück, oder nicht?“ charmantete der Professor hinterher und hatte damit durchaus
Erfolg.
„Na selbstverständlich komme ich zurück und ich bringe sogar Saltimbocca mit. Und dann muss ich Ihnen noch etwas ganz besonders erstaunliches erzählen, salbte Mama und ging lächelnd hinaus.
Kaum hatte Mara das typische Klickediklack der Küchentür vernommen, sprang sie auf und schloss leise die Tür zum Flur.
„Es tut mir leid!“, zischte der Professor sofort los: „Deine Mutter ist wirklich eine tolle Frau, aber wenn sie mit diesem Esoterikzeugs anfängt, weiß ich einfach nicht, was ich sagen soll!“
Eine tolle Frau? Auf diese Aussage war Mara gar nicht vorbereitet gewesen. Musste sie darauf jetzt was sagen? Sie zwang sich schließlich dazu, den ersten Teil des Satzes zu übergehen und nur auf den zweiten zu reagieren. „Glauben Sie mir, ich weiß auch nie, was ich sagen soll. Das Problem ist aber, dass das nur der Anfang war. Weil, jetzt gleich wird sie ihnen wohl von unserem ... Ausflug erzählen.“

„Ausflug, welcher Ausflug?“, fragte der Professor verwirrt und Mara konnte förmlich beobachten, wie er sich die schlimmstmögliche Antwort zusammenreimte. „Oder hast du etwa ... Du wirst doch nicht ...“
Mara nickte nur, denn Oh genau das hatte sie eben leider doch. Sie hatte nur bisher einfach nicht den Mut gefunden, es dem Professor zu beichten.

Da kam Mama auch schon zurück und zwischen ihren Handschuhen hielt sie einen Bräter, in dem mit Speck und Salbei ummanteltes Fleisch vor sich hin brutzelte.
Sie stellte es auf dem Tisch ab und winkte Mara, um ihr mit den Beilagen zu helfen. Mara stand auf und ließ den Professor mit offenem Mund zurück. Sie hatte den berechtigten Verdacht, dass er diesen nicht geöffnet hatte, um gefüttert zu werden
...

In der Küche flüsterte Mara ihrer Mutter zu: „Mama, ich weiß, du willst ihm von unserem ... Ausflug in diesen Wald erzählen, aber meinst Du nicht ...“
„Mara, ich merke doch, dass Herr Weissinger mich für verschwurbelt hält!“
„Ach nein ... bestimmt nicht ...“
, murmelte Mara halbgar dazwischen, aber Mama ließ sie kaum zu Wort kommen: „Und diese Sache ist nun mal der schlagende Beweis für meine Kräfte, denn du warst dabei und wirst es bezeugen!“ Und mit diesen Worten schnappte sie die Soßenkelle und winkte Mara zu der Schüssel mit den gerösteten Kartoffeln.

Warum nur habe ich Mama in diese Vision mitgenommen?, seufzte Mara in Gedanken, dabei kannte sie die Antwort: Sie hatte Mama eben trösten wollen und das war ihr damit gelungen.


Aber warum habe ich es dem Professor nicht vorher gesagt?, fragte Mara sich selbst auf dem Weg zurück ins Wohnzimmer. Na ja, sie kannte auch diese Antwort. Zu feige. Mist. 


Adriaan-Prent-Illustration-17
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